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Donnerstag, 15. Oktober 2009
Mobbing: Einmal verdächtigt; viermal gekündigt
Immer wieder geistern durch die Gazetten der Republik Geschichten über Arbeitnehmer, die wegen Bagatelldiebstahls des Eigentums ihres Arbeitgebers gekündigt wurden und sich hiergegen mit Kündigungsschutzklagen wandten. Diese Storys erlangen in Zeiten der Finanzkrise immer größere Berühmtheit. Regelmäßig werden die zugrunde liegenden Sachverhalte in Kontrast gesetzt zu denjenigen Fällen, in denen sich Spitzenmanager schwerer, auch strafrechtlicher Verfehlungen schuldig machten und gleichwohl ungeschoren oder gar mit großen Abfindungen „davon kamen“. Frei nach dem Motto: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Der Bienenstichfall und der Fall „Emily“ sind so bereits Gegenstand des allgemeinen Sprachgebrauchs geworden. Sieht man sich die mitgeteilten Ergebnisse der judizierten Rechtsstreitigkeiten an, so treten für den unbedarften Beobachter erste Zweifel an der Einheitlichkeit der von den Gerichten zugrunde gelegten Maßstäbe auf. Woran liegt das?
Dies liegt zu einem ganz wesentlichen Teil daran, dass in weiten Teilen der Presse nicht danach unterschieden wurde, ob die Kündigung fristlos oder ordentlich fristgemäß erfolgte und überdies nicht aufgezeigt wurde, ob der Bagatelldiebstahl nachgewiesen war oder lediglich ein Diebstahlsverdacht gegen den Arbeitnehmer bestand. Weiterhin wird regelmäßig nicht mitgeteilt, ob der Kündigung eine Abmahnung wegen eines vergleichbaren Vorwurfs vorausging oder nicht. Im Einzelnen:
Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer außerordentlich fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB sind viel strenger als diejenigen für die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Nach § 626 BGB kann der Arbeitgeber aus wichtigem Grund außerordentlich nur dann kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer es ihm nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen, regelmäßig vertraglich oder tarifvertraglich festgelegten Kündigungsfrist fortzusetzen. Dies prüft das Bundesarbeitsgericht zweistufig. Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob der Sachverhalt, unabhängig vom Einzelfall geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Anders als bei ordentlichen verhaltensbedingten Kündigungen ist der Kreis der zur Kündigung berechtigenden Verfehlungen des Arbeitnehmers viel kleiner. An sich wichtige Gründe im Sinne einer Berechtigung zur fristlosen Kündigung geben nämlich nur Gründe ab, die so gravierend sind, wie diejenigen, die ursprünglich in den gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 GewO, 72 HGB alter Fassung enumerativ genannt wurden. So wurde § 72 Abs. 1 Nr. 4 HGB a. F. folgend als „an sich“ wichtiger Grund immer die grobe Beleidigung des Arbeitgebers angesehen. Im Ergebnis ist ein an sich wichtiger Grund also von deutlich schwerwiegenderer Natur als ein zur verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung berechtigende bloße Vertragsverfehlung. Auf der zweiten Stufe erfolgt eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Hinblick darauf, ob das Verhältnis der Parteien so gestört ist, dass man in Zukunft nicht mehr miteinander können wird oder nicht. Viel wichtiger als die Unterscheidung zwischen fristlosen oder fristgemäßen Kündigungen ist aber bei Kündigungen wegen Bagatelldiebstählen die Unterscheidung danach, ob der Arbeitgeber den Diebstahl ohne jeden vernünftigen Zweifel für gegeben hält.
Die in der Presse verhackstückten Fälle waren hauptsächlich solche der so genannten Verdachtskündigung, d.h. bei Ihnen bestand aus Sicht des kündigenden Arbeitgebers lediglich der Verdacht der Arbeitnehmer habe einen Bagatelldiebstahl begangen, der Arbeitgeber war mit anderen Worten nicht davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer die Tat begangen hatte. Nach der Konzeption des Bundesarbeitsgerichts stellt die Verdachtskündigung einen personenbedingten Kündigungstypus eigener Art dar, der von der verhaltensbedingten Tatkündigung streng zu unterscheiden ist und auch eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen unterliegt. Nach dem Grundsatz der Unschuldsvermutung, der auch im Arbeitsrecht Geltung beansprucht, darf aus einem Sachverhalt, an dessen Vorliegen noch ernsthafte Zweifel bestehen, an sich keine negative Rechtsfolge für den Arbeitnehmer hergeleitet werden. Die Kündigung wegen des Verdachts eines Bagatelldiebstahls ist daher systemwidrig und kann daher auch nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise und unter zusätzlichen Voraussetzungen zugelassen werden.
So müssen zum einen die vorhandenen Verdachtsmomente so dringlich sein, dass sie im Ergebnis nur wenig hinter der zweifelsfreien Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestandes zurückbleiben. Zum anderen muss gerade schon der bloße Verdacht, dass ein Sachverhalt vorliegen könnte, zu einer für den Arbeitgeber nicht mehr tragbaren Störung der Vertrauensgrundlage des Arbeitsverhältnisses führen. Drittens muss schließlich die Verdachtskündigung in formeller Hinsicht dadurch abgesichert werden, dass der Arbeitgeber alles versucht hat, um den Sachverhalt zweifelsfrei aufzuklären, wozu zwingend auch die vor Ausspruch der Kündigung vorzunehmende Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers gehört. Regelmäßig scheitert die Rechtmäßigkeit der Verdachtskündigung wegen Bagatelldiebstahls daran, dass der vermeintliche Bagatelldiebstahl, das für die Fortsetzung eines langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nicht unwiederbringlich zerstört, denn dafür müssen regelmäßig neben dem Bagatelldiebstahl noch weitere Umstände hinzutreten. Zur Veranschaulichung der Problematik mag der nachstehend wiedergegebene Fall dienen:
Frau Lieselotte Peters, 48 Jahre, verheiratet, zwei schulpflichtige Kinder, arbeitet seit zehn Jahren beanstandungsfrei als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt. Ein Betriebsrat existiert in der Drogeriemarktkette nicht. Seit einem Jahr leitet die Filiale, in der Frau Peters beschäftigt ist, eine neue Filialleiterin, Frau Alexandra von Rheden. In den letzten Monaten kam es immer wieder zur Querelen zwischen Frau Peters und Frau von Rehden, die sich insbesondere auf die Pausengestaltung von Frau Peters bezogen. Bei einer Taschenkontrolle wird bei ihr von der Filialleiterin, Frau Alexandra von Rheden, ein Deostick gefunden, der zum Sortiment der Drogeriemarktkette gehört. Frau Rehden rechtfertigt sich damit, sie habe den Stick rechtmäßig vor einem halben Jahr in einem anderen Drogeriemarkt erworben. Sie verfüge indes nicht mehr über einen Kaufbeleg, da dieser Kauf zu lange zurückliege und Sie Belege nur für die sofortige Kontrolle der Rechnung und die Haushalskasse aufbewahre. Frau Rehden wird nunmehr von der Drogeriemarktkette fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Als Grund wird angeführt, dass der Diebstahl des Deosticks durch Frau Peters für die Drogeriemarktkette feststehe, jedenfalls aber ein dringender Diebstahlsverdacht gegen Frau Peters bestehe.
Dr. jur. Frank Sievert, Hamburg, den 12.10.2009
Montag, 17. August 2009
Mobbing durch „verbale Entgleisungen“ ?
Besprechung des Urteils des Landesarbeitsgerichts Köln Aktenzeichen 7 Sa 857/08
Das zu besprechende Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln setzt sich mit der Frage der Abgrenzung von Mobbing durch verbale Entgleisungen und sozialadäquaten „derben Umgangsformen“ auseinander. Erstmals wird klargestellt, dass Mobbing auch durch verbale Entgleisungen entstehen kann. Maßgeblich für die Bewertung der verbalen Angriffe oder Bemerkungen sind sozialtypische und arbeitsplatzspezifische Maßstäbe. Für die Frage, welche Äußerung noch als „normales Verhalten“ oder als allgemeiner Arbeitsplatzkonflikt anzusehen ist , ist eine Abgrenzung anhand der Arbeitsplatzbedingungen und der typischen sozialen Struktur der Beteiligten am Arbeitsplatz vorzunehmen. Beispielhaft hatte dies das Landesarbeitsgericht Nürnberg in seiner Entscheidung 6 Sa 537/04 ausgeführt. Dort standen Bemerkungen wie: „ Der Kläger fahre wie ein Schwein, der Kläger habe keine Ahnung von seinem Job, er, der Beklagte werde dafür sorgen, das der Kläger kein Bein mehr an die Erde kriegt.“, im Raum. Explizit führte das erkennende Gericht aus, dass derartige Bemerkungen bei LKW-Fahren deutliche Kritik seien, die als derbe Kritik noch keine Formalbeleidigung darstelle.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger, ein 55 Jahre alter Bäcker, der einem Schwerbehinderten gleichgestellt war, arbeitete in einer Backstube. Im Rahmen seiner Tätigkeit wurde der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 mehrmals wegen angeblich zu geringer Arbeitsleistung in lautem Ton aufgefordert, seiner Arbeitsleistung nachzugehen. Diese vom Kläger als „Anbrüllen“ empfundenen Anweisungen seines Vorgesetzten wertete der Kläger als Mobbing und forderte Schadensersatz in Höhe von € 20.000,00. Das erkennende Gericht wies die Klage unter Hinweis auf die soziale Üblichkeit der Verhaltensweise/ Äußerung des Vorgesetzten ab, die der Annahme entgegenstehe, das Anbrüllen durch den Vorgesetzten sei Mobbing. Überdies verneinte das Gericht eine Schädigungsabsicht des Vorgesetzten.
I. Entscheidungsgründe
Das erkennende Gericht stellt in den Entscheidungsgründen klar, unter welchen Voraussetzungen eine Ansammlung „verbaler Entgleisungen“ als Mobbing anzusehen sein kann. Verhaltensweisen Dritter, die von einem Arbeitnehmer als Mobbing empfunden werden, müssen demnach abgegrenzt werden gegenüber dem noch als „Arbeitsplatzkonflikt allgemeiner Art“ aufzufassenden Umgangston im Betrieb. Hierbei ist nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts maßgeblich auf die Art des Betriebes und die im Kreis der Beschäftigten üblichen sozialen Umgangsformen abzustellen. In Betrieben mit hoher Geräuschkulisse können die Anweisungen in einem deutlich lauteren Gesprächston erfolgen als in einem Büro. Generell stellte das Gericht fest, dass es in Handwerksbetrieben ohnehin „etwas derber zugehe“, so dass der von Außenstehenden unter Umständen als verletzend empfundene Umgangston dort zum normalen Umgang der Kollegen und Vorgesetzten untereinander zähle. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Grund des lauten Wortwechsels in sachlicher Kritik an der erbrachten Arbeitsleistung liegt. Immer dann, wenn wegen der Lautstärke der genutzten Maschinen und der dem Grunde nach gerechtfertigen Kritik an den Arbeitsleistungen eines Mitarbeiters entweder der Tonfall rauer oder lauter werde, sei zuerst zu ermitteln, ob der neue Umgangston im konkreten Kontext noch „sozialadäquat“ sei. Nur dann, wenn entweder die verwendeten Begriffe oder der Umgangston als solcher im konkreten Fall nicht mehr hinnehmbar waren, bleibt Raum für eine Prüfung der „Schädigungsabsicht“ des Täters und damit für Mobbinghandlungen und Schmerzensgeld.
II. Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer
Nach den genannten Entscheidungsgründen herrscht nunmehr Rechtssicherheit für Arbeitnehmer. Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung klare Grenzen des Schmerzensgeldanspruches gezogen. Der Lebenswirklichkeit folgend hat das erkennende Gericht eine schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechte gefordert, um zu einem Schmerzensgeldanspruch zu gelangen. Ob eine Verletzung schwerwiegend ist, hängt dabei davon ab, ob Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund sowie der Grad des Verschuldens das sozial verträgliche Maß übersteigen, BAG NZA 2007, Seite 1154, BGHZ 160, Seite 298. Das erkennende Gericht betonte, dass es für die Gewährung von Schmerzensgeld auf eine Abgrenzung von „Mobbing“ und „Arbeitsplatzkonflikten allgemeiner Art ankäme“. Lediglich dann, wenn eine auf Dauer angelegte und systematische Schädigung vorliegt, kann bei bewussten und zielgerichteten verbalen Anfeindungen ein entsprechender Anspruch auf finanziellen Ersatz bestehen, BAG NZA, Seite 781, BAG NZA 2007, Seite 11545.
Die praktische Konsequenz dieser Entscheidung ist kaum zu übersehen. Arbeitnehmer, die sich wegen ungebührlichen Tons oder unsachlicher Kritik nebst lautstarkem Zurechtweisen gemobbt fühlen haben nur dann Aussicht auf eine finanzielle Entschädigung, wenn die getätigten Äußerungen im konkreten Fall den üblichen sozialen Rahmen verlassen haben.
Dr. jur. Frank Sievert
Rechtsanwalt
Hamburg, 17.08.2009
Donnerstag, 2. Juli 2009
Die rechtswidrige Abmahnung
Besprechung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts , Aktenzeichen 2 AZR 606/08
Rechtswidrige Abmahnung wegen Weigerung an einem Personalgespräch teilzunehmen.
Das neue Urteil des Bundesarbeitsgerichts setzt sich mit der Frage der Zulässigkeit von Inhalten eines Personalgesprächs auseinander, wie es häufig auch in Fällen des Mobbings von Arbeitgebern angeordnet wird. Erstmals wird klargestellt, dass Inhalt des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts ausschließlich eine Konkretisierung und Festlegung der Leistungspflichten im Rahmen des geltenden Arbeitsvertrages sein kann. Der Inhalt des Arbeitsvertrages selbst kann nicht Gegenstand des Weisungsrechts sein. Personalgespräche, deren Ziel es ist, den Arbeitsvertrag zu verändern, verpflichten den Arbeitnehmer nicht zur Teilnahme am Personalgespräch. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin arbeitete bei der Beklagten, einer Einrichtung der Altenpflege als Pflegerin. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Beklagten setzte diese am 01. November 2006 ein Personalgespräch mit sämtlichen Mitarbeiterinnen an, dessen Ziel es war, die Mitarbeiterinnen zu veranlassen, auf Teile des 13. Monatsgehalts zu verzichten. Die Arbeitnehmerinnen weigerten sich der Verminderung ihres 13. Monatsgehalts zuzustimmen. Nach der Weigerung der Arbeitnehmerinnen setzte die Beklagte unter dem 13.11.2006 Einzelgespräche mit den Mitarbeiterinnen an, deren Ziel weiterhin die Verminderung des 13. Monatsgehalts war. Die Klägerin erschien zum erbetenen Gesprächstermin im Büro des Personalleiters, teilte diesem mit, dass sie nur zu einem gemeinsamen Gespräch mit den Kolleginnen bereit sei, ein Einzelgespräch mit dem Personalleiter würde von ihr nicht geführt werden. Der Personalleiter lehnte ein erneutes Gruppengespräch ab und erteilte der Klägerin wegen „Verweigerung der Arbeitsleistung“ eine Abmahnung.
I. Entscheidungsgründe
Das erkennende Gericht stellt in den Entscheidungsgründen klar, unter welchen Voraussetzungen eine Abmahnung wegen Verweigerung der Teilnahme an einem Personalgespräch ausgeschlossen ist. Bestandteil des Weisungsrechts des Arbeitgebers sind ausschließlich Konkretisierungen des Arbeitsvertrages. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO umfasst nur die Festlegung der Leistungspflichten des Arbeitnehmers im Rahmen des geltenden Arbeitsvertrags, nicht dagegen Änderungen des Arbeitsvertrags. Der Arbeitgeber kann nach billigem Ermessen Ort und Zeit der Arbeitsleistung ebenso wie die Ordnung im Betrieb und das Verhalten des Arbeitnehmers im Unternehmen zum Gegenstand betrieblicher Weisungen machen, sofern diese Punkte nicht bereits abschließend arbeitsvertraglich geregelt sind.
Ein Personalgespräch, das eine Änderung des Arbeitsvertrags, z. B. eine Gehaltsabsenkung, zum Ziel hat, verfolgt einen unzulässigen, nicht mehr vom Direktionsrecht gedeckten Zweck. Die Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie stellt es jedermann frei zu entscheiden, ob er einen Vertrag abschließt oder ändert. Die Klägerin war nicht gezwungen, der geplanten Gehaltskürzung zuzustimmen.
Die Beklagte hätte eine Gehaltskürzung der klagenden Pflegerin auch nur über den Weg der Änderungskündigung erreichen können. Da es keinen Kontrahierungszwang für die Klägerin gab, lag es allein im Entscheidungsbereich der Klägerin, ob sie der Gehaltskürzung zustimmen wollte. Die Beklagte verlangte von der Klägerin nichts anderes als den unzulässigen Verzicht auf die Vertragsfreiheit. Sobald ein Arbeitgeber ein derart unberechtigtes Verlangen an den Arbeitnehmer richtet, ist die Durchsetzung mittels Zwangsmittel ausgeschlossen. Ein nicht von der Rechtsordnung gedecktes Ziel kann nicht mittels einer Abmahnung eingefordert werden.
II. Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer
Nach den genannten Entscheidungsgründen herrscht nunmehr Rechtssicherheit für Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung klare Grenzen des Weisungsrechts gezogen. Personalgespräche zum Zwecke der Konkretisierung bestehender Arbeitsverträge sind zulässig. Personalgespräche, die ein anderes Ziel verfolgen, die den Arbeitsvertrag als solchen ändern sollen, um Gehaltsabsenkungen, Verringerungen der Stundenzahlen oder ähnliches zu erreichen, sind nicht vom Direktionsrecht gedeckt. Die praktische Konsequenz dieser Entscheidung ist kaum zu übersehen. Arbeitnehmer, die sich weigern an „Einzelgesprächen“ mit dem Personalchef teilzunehmen, weil sie aufgrund der Gesprächsankündigung mit Änderungsangeboten zum Arbeitsvertrag rechnen müssen, können dafür nicht abgemahnt werden. Nach dieser eindeutigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kann nur jedem, der wegen Nichtteilnahme an einem Personalgespräch abgemahnt wurde, geraten werden, sich umgehend an einen spezialisierten Arbeitsrechtsanwalt zu wenden. Unberechtigte Abmahnungen müssen aus der Personalakte entfern werden, da mit jeder Abmahnung das Risiko einer Kündigung steigt.
Rechtsanwalt Dr. jur. Frank Sievert
Hamburg, 01.07.2009
Mittwoch, 25. März 2009
Urteilsbesprechung: Vorsätzlich gemobbt und auf Verdacht gekündigt
Klarstellungen zum Rechtsschutz bei Verdachtskündigungen
1. Die verhaltensbedingte Verdachtskündigung in Mobbingsituationen
In der Vergangenheit wurden gemobbte Arbeitnehmer vom Arbeitgeber häufig unter Hinweis darauf personenbedingt gekündigt, dass sie als sogenannte „low performer“ deutlich weniger als ihre Kollegen leisten würden. In jüngster Zeit ist zu beobachten, dass gemobbten Arbeitnehmern häufig vorgeworfen wird, sie hätten durch Handlungen, die schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen regelmäßig sogar Straftaten darstellen, das Vertrauen des Arbeitgebers verspielt. Diese Arbeitnehmer werden dann von den Arbeitgebern mit einer sogenannten verhaltensbedingten Verdachtskündigung vor die Tür des Betriebes gesetzt. Es stellt sich dann die Frage nach der Wirksamkeit der seitens des Arbeitgebers ausgesprochenen Verdachtskündigung.
2. Rechtfertigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers
Nach ständiger Rechtsprechung kann bereits allein der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitnehmers abgeben. Statistisch nachweisbar greifen Arbeitgeber immer häufiger zum Instrument der Verdachtskündigung, wenn sie das Vertrauen in den Arbeitnehmer verloren haben. Sie machen dies regelmäßig dann, wenn der Arbeitnehmer gegen Arbeitsanweisungen, wie beispielsweise die Pflicht zur Quittierung für den Arbeitgeber empfangener Kundengelder verstößt, es aber unklar ist oder nicht nachgewiesen werden kann, ob dieser Verstoß aus unlauteren Motiven, wie dem Willen das Geld zu unterschlagen, oder aus Schluderigkeit erfolgte. Das Problem der Verdachtskündigung besteht darin, dass sie auch gegenüber Unschuldigen wirksam sein kann.
3. Wirksamkeit der Kündigung
Eine Verdachtskündigung ist deshalb nur dann wirksam, wenn sich starke Verdachtsmomente objektiv begründen lassen und der Arbeitgeber alles zur Aufklärung Erforderliche und Zumutbare getan hat. Der Arbeitgeber muss daher auch nach den Umständen forschen, die den Arbeitnehmer entlasten. Dies wiederum verlangt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Verdacht zu unterrichten hat und ihm Gelegenheit geben muss, zu seiner Entlastung eine Stellungnahme abzugeben. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer mit anderen Worten zum Verdacht anhören.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil 2 AZR 961/06 vom 13.03.2008 unter anderem entschieden, dass einem Arbeitnehmer auf sein Verlangen das Recht zusteht, bei seiner Anhörung zur arbeitgeberseitig beabsichtigten Verdachtskündigung einen Anwalt seiner Wahl beizuziehen. Dies wird in der Praxis erhebliche Konsequenzen zugunsten der Arbeitnehmer haben. Die Realität der bundesdeutschen Arbeitswelt besteht nämlich häufig darin, dass Arbeitgeber dem Arbeitnehmer oder dessen Anwalt mitteilen, der Anwalt dürfe an der Anhörung seines Mandanten durch den Arbeitgeber nicht teilnehmen. Diese Verweigerung der Teilnahme des Rechtsanwalts wird nunmehr regelmäßig zur Nichtigkeit der Kündigung führen. Dies vor folgendem Szenario.
4. Das Recht, einen Anwalt zur Anhörung hinzuziehen
Der Arbeitgeber hört den Arbeitnehmer zum gegen ihn gerichteten Verdacht an, ohne ihm die Beiziehung seines Anwalts zu gestatten. Der Arbeitnehmer wirkt an der Sachverhaltsaufklärung nun entweder gar nicht, oder nur unzureichend mit oder versucht das Verfahren zu verschleppen. Der Arbeitgeber wird nun die Kündigung aussprechen und sich in Unkenntnis der neuen Rechtsprechung darauf stützen, dass seiner Meinung nach den Anforderungen der Anhörung des Betroffenen genügt sei. Der betroffene Arbeitnehmer indes habe den gegen ihn gerichteten Vorwurf nicht entkräftet. Der Arbeitgeber wird dann regelmäßig vor dem Arbeitgericht, zu Recht, sein „böses“ Erwachen erleben. Ihm wird nun nämlich regelmäßig vorgehalten werden, dass allein die vom Arbeitnehmer begehrte Anhörung unter Anwesenheit seines Anwalts die formellen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung erfüllt hätte. Die formell ordnungsgemäße Anhörung sei Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung. Ein gut beratener Arbeitnehmer wird sich in Zukunft also dahin einlassen, dass er bereit war, sich zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen zu äußern, dies jedoch nicht tat, da er nur bereit war, mit anwaltlicher Unterstützung auszusagen.
Für die Anhörung zur Verdachtskündigung gilt daher in Abwandlung einer bekannten Werbesentenz, dass sie nicht ohne den Anwalt des Arbeitnehmers erfolgen muss.
Dr. jur. Frank Sievert
Rechtsanwalt
Hamburg, 04.10.2008