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Sonntag, 22. Juli 2012
Mobbing, Burnout, Depression und die Suche nach der geeigneten Therapie
Eine Besprechung der DVD – Personenbezogene Depressionstherapie, Autor: Professor Dr. Daniel Hell
Audi Torium Netzwerk, Original-Vorträge.
Depression ist eine Krankheit und ebenso wie Burnout in der Öffentlichkeit ein Thema, welches nicht mehr länger tabuisiert wird, nachdem sich Prominente aus Sport, Politik und Wirtschaft bekannt haben, darunter zu leiden. Die Folgen und Symptome dieser affektiven Störungen sind in der Regel offensichtlich, doch die Fragen nach dem Warum und der Entstehung von Depressionen und eines Burnouts zu klären und Betroffenen Lösungsmöglichkeiten aus dieser schweren persönlichen Krise aufzuzeigen, sind oftmals schwierig. Jeder vierten Frau und jedem siebten Mann droht die Gefahr, mindestens einmal im Leben depressiv zu erkranken.
Als Anwalt ist man hier nur Begleiter der medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung. Umso wichtiger ist es, sich mit den unterschiedlichen Therapieansätzen vertraut zu machen, um nachzuvollziehen, was die behandelnden Ärzte und Psychiater dem eigenen Mandanten während der rechtlichen Betreuung durch den Anwalt angedeihen lassen.
Depressionsforscher Professor Dr. Daniel Hell, emeritierter Professor für Klinische Psychiatrie, langjähriger ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und jetziger Leiter des Kompetenzzentrums "Depression und Angst" an der Privatklinik Hohenegg in Meilen (Schweiz), hat im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen 2010 in einem fünftägigen Seminar intensiv und anschaulich die Grundlagen der „Personenbezogenen Depressionstherapie“ vermittelt. Sie zeichnet die achtsame Begegnung mit der Hilfe der suchenden Person – mit ihrer individuellen Biographie, ihrer Persönlichkeit, ihren indiviuellen Belastungen/ Ressourcen und Erlebensweise aus. Daniel Hells integrativer Ansatz führt dazu, die blockierenden körperlichen und sozialen Veränderungen in einer Depression ernst zu nehmen und zu erkennen. Dadurch öffnet sich auch der Zugang zu der eigentlichen, der verborgenen Ursache der Depression.
Sehr anschaulich schildert Hell in einem Umfang von rund 40 Minuten beispielhaft seine psychotherapeutische Behandlung einer 55 Jahre alten Patientin, die infolge des plötzlichen Todes ihres Mannes an einer Depression erkrankte. Hell arbeitet beispielhaft heraus, welche besonderen Ressourcen dieser Frau, einer beruflich stark eingebundenen Intensivmedizinerin, zur Verfügung standen. Er verdeutlicht inwieweit ihr weit überdurchschnittlicher Intellekt durch die Fähigkeit zur Introspektion die Therapie begünstigte. Er zeigt gleichfalls, dass ihr besonderes Leistungsstreben die Therapie andererseits auch belastete.
Auch wenn das Einleitungsbeispiel Hell´s keine Depression betrifft, die auf einen Arbeitsplatzkonflikt zurückgeht, kommen doch die vorgenannten biographischen Details in der Persönlichkeit von Mobbingopfern sehr häufig vor. Auch Mobbingopfer sind ganz überwiegend aufgrund einer außergewöhnlichen Intelligenz überdurchschnittlich gut strukturiert und zu Selbstreflexion fähig. Ebenso häufig sind Mobbingopfer aber auch leistungsorientiert und setzten sich bei dem Wunsch, eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen zeitlich unter starken Druck. .
Multidisziplinär stellt er auch kulturhistorische, anthropologische und neurowissenschaftliche Ansätze vor. Seine Original-Vorträge und Fallbeispiele auf dieser Doppel-DVD belaufen sich auf eine Gesamtspielzeit von 443 Minuten. Sie richten sich vor allem an Psychotherapeuten oder jene, die diesen Beruf ergreifen möchten.
Die DVD gliedert sich wie folgt in die nachstehenden sechs Abschnitte:
1.Einführung – von Normen und Personen
2. Ein pragmatisches Depressionskonzept für eine Personbezogene Therapie
3. Der Einfluss von Schweregrad und Verlauf auf die Therapie
4. Zur Psychodynamik des depressiven Stillstandes –
vom Ringen mit frustrierten Grundbedürfnissen
5. Differenzierende Psychotherapie depressiven Leidens
6. Keine Therapie ohne Stolpersteine – zur Interaktionsdynamik mit depressiven Menschen
Dass die Depression viele Gesichter hat, ist eine der Kernaussagen von Professor Hell. Nicht nur in ihren Erscheinungsformen wie die Anaklitische, Somatisierte oder Organische Depressionen. Die von ihm zum großen Teil ausführlich vorgetragenen Fallbeispiele zeigen ein großes Spektrum an Ursachen für eine Depression.
Nachdem sich Professor Hell in seinen ersten Vortrag vor allem der Einführung von Normen und Personen zuwendet, liegt der Schwerpunkt des zweiten Vortrages auf der Darstellung eines pragmatischen Depressionskonzeptes für eine personenbezogene Therapie. Es folgt die Auseinandersetzung mit dem Einfluss, den sowohl der Schweregrad als auch der Verlauf der Depression auf die Therapie haben. In seinem vierten Vortrag analysiert Professor Dr. Hell die Psychodynamik des depressiven Stillstandes. Zum Abschluss des Seminars geht es dann um die Themen der differenzierenden Psychotherapie, des depressiven Leidens aber eben auch die Stolpersteine, die bei einer Therapie durchaus vorhanden sein können.
Insgesamt ist diese Doppel-DVD sehr informativ. Es erfordert eine hohe Aufmerksamkeit, Professor Dr. Hell bei dessen Ausführungen zu folgen, da es sich, wie eingangs erwähnt, um Original-Mitschnitte handelt, die weitgehend unbearbeitet erscheinen. Im Gegensatz zu den Teilnehmern an dem Seminar indes bieten die beiden DVDs jedoch den großen Vorteil, dass man zwischendurch die Pausentaste drücken oder den Rücklauf verwenden kann um nicht durch die schiere Menge an Informationen überfordert zu werden und den Faden zu verlieren.
Dr. jur. Frank Sievert / Markus Tischler
Donnerstag, 10. November 2011
„Geschäftsführer gesucht“ – Entschädigung gezahlt
Oberlandesgericht Karlsruhe stärkt Rechte von Diskriminierungsopfern und fordert geschlechtsneutrale Formulierungen bei Stellenausschreibung
Die Wortwahl ist eindeutig. Gesucht wird ein Geschäftsführer. So stand es in einer in Auftrag gegebenen Stellenausschreibung eines mittelständischen Unternehmens. Wer also sollte daraus schließen, dass sich nebst Männer auch Frauen um diese Position bewerben konnten. Eine als Rechtsanwältin zugelassene Personalleiterin einer Versicherung bewarb sich dennoch, erhielt eine Absage und klagte anschließend vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe auf Entschädigung. In seinem Urteil vom 13.09.2011, Aktenzeichen 17 U 99/10, gab das Gericht der Klägerin recht, dass auch bei in Auftrag gegebenen, diskriminierenden Stellenanzeigen, ein Schadensersatzanspruch nach dem AGG besteht und setzten eine Entschädigung in Höhe von € 13.257,36 fest. Das Urteil aber ist nicht nur ein persönlicher Erfolg für die Klägerin, es ist auch wegweisend hinsichtlich der Verbesserung des Schutzes der BewerberInnen vor geschlechtsbezogenen Benachteilungen.
Dem hier nun besprochenen Urteil liegt denn auch ein in der Praxis bedeutendes Problem zu Grunde, die Diskriminierung durch Stellenanzeigen wegen fehlender geschlechtlicher Neutralität und die damit einhergehende Diskriminierung nach dem AGG. Ausgelöst wurden die Streitigkeiten vielfach durch die Verwendung von „Funktionsbezeichnungen“, die grammatikalisch eindeutig männlich waren, im bisherigen Sprachverständnis jedoch geschlechtsneutral verstanden wurden. Das Oberlandesgericht hatte somit die möglichen Abweichungen zwischen den in §§ 11, 7, 1, 2 Abs. 2 Satz 1 AGG normierten Anforderungen an Stellenausschreibungen und dem „allgemeinen Sprachverständnis“ zu ermitteln.
Zum Sachverhalt: Eine als Rechtsanwältin zugelassene Personalleiterin einer Versicherung bewarb sich auf eine Stellenanzeige hin als Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens, obwohl in der Stellenanzeige lediglich ein „Geschäftsführer“ gesucht wurde. Die Stellenanzeige des beklagten Unternehmens wurde von einer eigens beauftragten Anwaltskanzlei entworfen und zweimal in der örtlichen Presse geschaltet. Dass neben männlichen auch weibliche Bewerber gesucht werden sollten, war weder aus dem konkreten Anzeigentext noch aus einem Zusatzkürzel (m/w) ersichtlich. Nachdem die Bewerbung der Klägerin nicht zum Tragen gekommen war, meldete die Klägerin umgehend einen Entschädigungsanspruch in Höhe von knapp € 25.000,00 und forderte die für die Schaltung der Anzeige verantwortliche Rechtsanwaltskanzlei auf, ihr deren Auftraggeber zu nennen. Erst nach Auskunftsklage nebst antragsgemäßer Verurteilung durch das Landgericht Karlsruhe und nachfolgender Zwangsvollstreckung gab die Anwaltskanzlei den Namen des Unternehmens preis, welches ihr den Auftrag für das Stellenangebot erteilt hatte. Die anschließend gegenüber der Beklagten eingereichte Entschädigungsklage wegen rechtswidriger Diskriminierung gemäß §§ 15 Abs. 2, 11, 7, 1, 2 Abs. 1 S. 1, 22 AGG wurde vom Landgericht Karlsruhe abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hin sprach das OLG Karlsruhe der Klägerin insgesamt eine Entschädigung in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes von € 13.257,36 zu und begründete seine Entscheidung damit, dass die Stellenausschreibung gegen das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 7 AGG) verstoße. Die nicht geschlechtsneutrale Stellenausschreibung führe gemäß § 22 AGG dazu, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermutet werde und deshalb das ausschreibende Unternehmen nachweisen müsse, dass die Klägerin nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden sei, dass also das Geschlecht der Klägerin bei der Auswahl überhaupt keine Rolle gespielt habe. Die Beklagte habe die maßgeblichen Erwägungen für ihre Auswahl nicht dargelegt. Die Tatsache, dass eine andere Bewerberin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, vermöge die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung im Bewerbungsverfahren nicht zu widerlegen. Auch der Einwand der Beklagten, die Klägerin sei nicht wegen ihres Geschlechts, sondern wegen der mangelnden Akquisitionserfahrung nicht eingeladen worden, könne die Vermutung nicht widerlegen. Damit sei nicht belegt, dass das Geschlecht neben der möglicherweise fehlenden Akquisitionserfahrung der Klägerin bei der Entscheidung keine Rolle gespielt habe.
Das vorgenannte Urteil ist bemerkenswert. Einerseits weil es den potentiell nach AGG geschädigten Bewerbern einen Auskunftsanspruch einräumt, der vom Gericht höher bewertet wurde als das Mandatsgeheimnis der die Stellenanzeige entwerfenden Rechtsanwaltskanzlei, andererseits weil es eine abschließende Sprachregelung für Stellenanzeigen getroffen hat. Schließlich hat das erkennende Gericht in einem unscheinbaren Halbsatz das bisher gängigste Argument gegen einen Entschädigungsanspruch, die „vermeintlich fehlende Qualifikation“ im Verhältnis zur geschlechtlichen Diskriminierung vollkommen neu gewichtet.
a.Auskunftsersuchen
Mittels des ausgeurteilten Auskunftsbegehrens ist es Anwaltskanzleien (wie auch Werbeagenturen etc.) eine der letzten Möglichkeiten genommen worden, Stellenausschreibungen in einem männlichen Duktus zu verfassen und dennoch die anfallenden Schadensersatzansprüche zu vermeiden. Das erkennende Landgericht Karlsruhe hatte im Vorprozess zugunsten von Diskriminierungsopfern einen Auskunftsanspruch gegen die Anwaltskanzlei bejaht, obwohl dieser unmittelbar zur Verurteilung des Mandanten, hier der Beklagten, führen würde. Der Mandantenschutz wurde geringer gewichtet als der Anspruch nach dem AGG.
b.Sprache
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in der besprochenen Entscheidung erstmals klar und deutlich die bisher vorherrschende überkommene sprachliche Übung, wonach bei betrieblichen und behördlichen Funktionsbeschreibungen in grammatikalisch rein männlicher Form zugleich auch immer die weibliche Form mit gemeint war, über Bord geworfen. Die heute noch weit verbreitete Ansicht, dass, um nur einige Beispiele zu nennen, Richter, Polizist und Geschäftsführer als Amts- und Funktionsbeschreibungen zwar grammatikalisch männlich seien, indes als Funktionsbeschreibung sowohl männliche als auch weibliche Funktionsträger kennzeichnen, ist damit zumindest im juristischen Sprachgebrauch nicht mehr haltbar. Daraus folgt unmittelbar, dass künftig jede Stellenbeschreibung in männlicher und weiblicher Form oder zumindest mit dem eindeutigen Zusatz (m/w) versehen sein muss, da rein männliche Begriffe nicht mehr als geschlechtsneutrale Oberbegriffe verstanden werden können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe begründete dies für den Begriff des Geschäftsführers unmittelbar aus dem Gesetzestext, indem es ausführte, dass das AGG in seinem § 6 Abs. 3 ausdrücklich von „Geschäftsführern und Geschäftsführerinnen“ spreche. Überdies würden männliche Begriffe selbst wenn sie im allgemeinen Sprachgebrauch oder auch noch in der Gesetzessprache wie ein Oberbegriff verwendet werden hierdurch im Rahmen einer Stellenanzeige nicht zu geschlechtsneutralen Oberbegriffen.
c.Qualifikation
Schließlich steckt in diesem Teil der Urteilsbegründung eine wesentliche Verbesserung der Opferrechte. Neben den allgemeinen Regelungen über die Beweislast wandte sich das erkennende Gericht im besprochenen Urteil unmittelbar gegen den „Qualifikationstrick“ und die damit verbundene Beweislastverschiebung. Das Gericht verzichtete auf den in der Praxis schwer zu erbringenden Beweis für die fachliche Geeignetheit der Klägerin, indem es das Indiz der geschlechtlichen Diskriminierung immer dann als gegeben ansah, wenn das Unternehmen nicht nachgewiesen hatte, dass die ablehnende Entscheidung nicht auch auf geschlechtlichen Überlegungen basierten. Das bedeutet, dass außer in den Fällen offensichtlicher Ungeeignetheit der Einwand der „vermeintlich fehlenden Qualifikation“ zukünftig nahezu unbeachtlich sein wird.
d.Zurechnung
Die Verletzung der Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung durch die von der Beklagten beauftragte Kanzlei wurde der Beklagten auch vom OLG zutreffend zugerechnet. Dies mit der ebenfalls zutreffenden Begründung, dass dem Arbeitgeber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung im Fall der Fremdausschreibung die Sorgfaltspflicht trifft, die Ordnungsgemässheit der Ausschreibung selbst zu überwachen
Fazit
Eine wegweisende gerichtliche Entscheidung. Zukünftig wird es für die Opfer diskriminierender Stellenausschreibungen wesentlich einfacher, ihre Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Selbst die letzten Lücken im komplexen System der Stellenausschreibungen, die anonymen Stellenanzeigen, bieten den Unternehmen keinen Schutz vor berechtigten Entschädigungsansprüchen mehr. Zugleich ist auch den Versuchen der Unternehmen, die Indizwirkung der Diskriminierung durch immer neue vermeintliche „Stellenprofile“ auszuhebeln, eine deutliche Absage erteilt worden, da es für den Anspruch nach dem AGG genügt, wenn eine geschlechtliche Diskriminierung neben möglichen anderen, - unter Umständen auch sachlichen -, Gründen maßgeblich für die Absage war. Wer zukünftig bei Bewerbungen übergangen wurde, sollte genau prüfen, ob nicht bereits unmittelbar aus einer formal inkorrekten Stellenausschreibung ein Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung hergeleitet werden kann.
Dr. jur. Frank Sievert, Rechtsanwalt
Freitag, 5. August 2011
Alarm schlagen ohne Angst vor Kündigung und Mobbing
-Europäischer Gerichtshof stärkt Whistelblowern den Rücken –
Das hier besprochene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Aktenzeichen ECHR 215/ 2011 vom 21.07.2011, mit dem entschieden wurde, dass die fristlose Kündigung einer Arbeitnehmerin wegen der Veröffentlichung von Missständen bei ihrer Arbeitgeberin gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß, stellt bereits formal eine Besonderheit dar. Es handelt sich nämlich nicht um ein Urteil der bundesdeutschen Jurisdiktion, aber dennoch entfaltet der Urteilsspruch unmittelbare Wirkung in der bundesdeutschen Rechtsprechung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich in der besprochenen Entscheidung mit der Reichweite von Meinungsäußerungen im Unternehmen auf der einen und der Loyalitätspflicht der Mitarbeiter auf der anderen Seite zu befassen. Hierbei ging es um ein in der Praxis bedeutendes Problem, die strafrechtliche Anzeige eines Mitarbeiters mit der vermeintliche oder tatsächliche Straftaten des Arbeitgebers an die Öffentlichkeit gebracht werden sollen. Häufig werden derartige Mitarbeiter die sogenanntes Whistleblowing betreiben, also Alarm schlagen, von Kollegen als Denunzianten gemobbt und vom Arbeitgeber gekündigt, etwa wegen des Verrats von Betriebsgeheimnissen. Bis zu dem jetzigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde fast durchgängig von deutschen Arbeitsgerichten zu lasten der Meinungsfreiheit entschieden und die vom Arbeitgeber ausgesprochen Sanktionen des hinweisgebenden Arbeitnehmers hatte auch gerichtlich bestand. Dies wird sich nunmehr ändern.
Im Ergebnis hat dabei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals klar und deutlich die Meinungsfreiheit der Mitarbeiter inklusive der Veröffentlichung dieser Meinungen dem Grunde nach höher gewichtet als die Loyalitätspflicht der Mitarbeiter. Zum ersten Mal hat nunmehr der EGMR eine fundierte Grundlage für die Abwägung von Unternehmerinteressen und Loyalitätspflicht geliefert.
Zum Sachverhalt: Die Klägerin, Brigitte Heinisch, hat Mut bewiesen, als sie ihren Arbeitgeber, ein Pflegedienstleistungsunternehmen, im Jahre 2004 wegen Betruges anzeigte, und diesem vorwarf die Pflegedienstleistungen nicht wie vereinbart erbracht und abgerechnet zu haben. Womöglich war der Altenpflegerin damals nicht klar, dass ihr dieses nicht nur die fristlose Kündigung einbringen, sondern ihr Fall Jahre später zu einem wegweisenden Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg führen würde. Einem Urteil, welches Arbeitnehmer stärkt, die bislang aus Angst vor Repressalien Missstände in ihrem Unternehmen nicht öffentlich anprangern wollten.
Brigitte Heinisch, eine Altenpflegerin, hat dieses getan. Sie ist allerdings nicht zu irgendeiner Zeitung gegangen oder hat sich einem TV-Sender anvertraut – Brigitte Heinisch hat im Dezember 2004 Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber gestellt, weil sie die Zustände bei ihrer Arbeitgeberin in einem Berliner Altenheim nicht mehr akzeptieren wollte: Nämlich, dass der Klinikbetreiber ihrer Meinung nach zu wenig Personal für die pflegebedürftigen Bewohner einsetzte, die oft stundenlang auf Hilfe warten mussten. Weil Brigitte Heinisch der Meinung war, die Gegenleistung für die alten Menschen wie auch die Angehörigen entspreche nicht denen von diesen getragenen Kosten, stellte sie Strafanzeige wegen Betrugs gegen die Arbeitgeberin. Das Verfahren gegen ihre Arbeitgeberin wurde mangels hinreichenden Tatverdachtes eingestellt. Sie selbst wurde daraufhin im Jahr 2005 fristlos gekündigt. Ihre Klagen auf Wiedereinstellung wurden sämtlich abgewiesen. Dass ihre fristlose Kündigung rechtmäßig gewesen sei, zu diesem Schluss kamen sowohl Arbeitsgericht, als auch das Landesarbeitsgericht und das Bundesarbeitsgericht. Eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht angenommen.
Das EGMR bewertete die Interessenkollision zwischen Meinungsäußerungsfreiheit der Arbeitnehmerin und ihrer Pflicht zur Loyalität gegenüber der Arbeitgeberin anders und entschied, dass mit der fristlosen Kündigung gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, also der „Freiheit der Meinungsäußerung“ verstoßen wurde, zumal es keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass die Arbeitnehmerin wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hätte. Das Gericht sprach der Klägerin daher eine Entschädigung von insgesamt € 15.000,00 zu.
Warum aber hat das EGMR im Fall der so genannten „Whistleblowerin“ Brigitte Heinisch, also einer couragierten Mitarbeitern, welche Missstände publik machte, das Urteil zu Gunsten der Klägerin gefällt? Immerhin lässt sich dem Vorwurf, sie habe mit ihrer Strafanzeige eine schädigende Wirkung auf den Ruf und die Geschäftsinteressen ihres Arbeitgebers gehabt, nicht widersprechen. Dieses hat der EGMR auch nicht getan. Dennoch haben die Richter am EGMR in diesem Fall das große Interesse der Öffentlichkeit daran, über Mängel in der Altenpflege Bescheid zu wissen, als wichtiger erachtet als die Interessen des Unternehmens und sich dabei auf Artikel 10 Europäische Menschenrechtskonventionen (EMRK) berufen.
Zugunsten der Klägerin werteten die Richter in ihrem Urteil, dass es im „deutschen Recht keine spezielle Vollstreckungsmechanismen gibt, um eine Beschwerde eines Whistleblowers zu untersuchen und um den Arbeitgeber dazu zu bringen, die Missstände zu beheben“. Die Klägerin hatte in den Jahren vor ihrer Kündigung mehrfach die zuständigen staatlichen Aufsichtsbehören auf vermeintliche Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht, ohne dass aus ihrer Sicht eine Verbesserung der Situation eingetreten war. Daher war der „gute Glaube“ der Klägerin wesentlich zu ihren Gunsten zu werten.
Noch ist das Urteil des EGMR nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung hat drei Monate Zeit, Einspruch zu erheben und die Rechtssache an die Große Kammer des EGMR verweisen zu lassen, allerdings stellt die Entscheidung einen wesentlichen Wandel im Umgang mit so genannten Whistleblowern dar.
Fazit
Die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Meinungsäußerung wurde jetzt über Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention für Mitarbeiter erheblich gestärkt. Indes kann dem Urteil nicht die von manchem voreilig herbeigerufene Signalwirkung des „jetzt kann jeder gegenüber dem Unternehmen sagen und tun was er will“ beigemessen werden. Wer sich mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt genauer befasst hat, der kann erkennen, dass die Klägerin nach Auffassung des Gerichts in gutem Glauben gehandelt hat, indem, sie die vermeintlichen Verstöße der Arbeitgeberin für tatsächlich gegeben und zudem strafrechtlich relevant hielt. Insbesondere deshalb, weil in der Vergangenheit der medizinische Dienst der Krankenkassen mehrfach bei Heimuntersuchungen Rügen ausgesprochen hatte, die nicht unmittelbar zu Verbesserungen geführt hatten, konnte die Klägerin nach Auffassung des erkennenden Gerichts zumindest annehmen, dass die von ihr behaupteten Verstöße tatsächlich gegeben seien. Damit nahm das erkennende Gericht zugunsten der Klägerin an, dass deren Interessen hier höher als das Geschäftsinteresse des Unternehmens zu bewerten war.
Dr. jur. Frank Sievert
05.08.2011
Freitag, 4. Juni 2010
Mobbing: Einfach mal abschalten !!!
Voraussetzungen, Inhalt und Gefahren des Zurückbehaltungsrechtes
Regelmäßig kommen in meine hamburger Anwaltspraxis gemobbte Mitarbeiter deren größter Wunsch darin besteht, sofort den Angriffen der mobbenden Kollegen und Vorgesetzten entzogen zu sein und in Ruhe wieder zu sich kommen zu können. Sind diese Mitarbeiter nicht krankgeschrieben und wollen sie auch trotz erkennbar depressiver Verstimmung keinen Arzt aufsuchen um sich krankschreiben zu lassen, so kann Ihnen häufig dennoch geholfen werden.
Das Bürgerliche Gesetzbuch gibt den mobbingbetroffenen Arbeitnehmern nämlich in § 273 BGB grundsätzlich das Recht, ihre Arbeitsleistung bis zur Beseitigung des Mobbings zurückzubehalten, ohne den Anspruch auf ihr Gehalt zu verlieren. Der Arbeitnehmer hat gegenüber seinem zur Fürsorge verpflichteten Arbeitgeber einen Anspruch darauf nicht gemobbt zu werden. Letzterer muss dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer nicht von Kollegen oder Vorgesetzten gemobbt wird. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber selbst am Mobbing beteiligt ist oder nicht. Vor der Ausübung seines Zurückbehaltungsrechtes hat der betroffene Arbeitnehmer allerdings einiges zu beachten.
Zunächst muss der gemobbte Arbeitnehmer den Arbeitgeber konkret auf die Mobbinghandlungen hinweisen und ihm auch zeitlich Gelegenheit geben, die Missstände zu beseitigen. Ohne konkrete Ausführungen des gemobbten Arbeitnehmers zu den beteiligten Personen, den Orten des Mobbings und den Zeiten an denen dieses stattfand, kann der Arbeitgeber nicht tätig werden und dem Mobbing abhelfen. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber beim Mobbing durch Kollegen zunächst gar nicht direkt verantwortlich. Sein nachweisbares Verschulden, d. h. die Verletzung seiner Fürsorgepflicht, ist nur bei Ausbleiben einer Reaktion trotz Kenntnis von der Mobbingsituation gegeben. Regelmäßig ist deshalb zunächst der Arbeitgeber mittels einer Mobbingbeschwerde nach § 84 BetrVG über die Situation am Arbeitsplatz des Arbeitnehmers in Kenntnis zu setzten, und es ist ihm unter Fristsetzung Gelegenheit zur Beseitigung des Mobbings zu geben.
Weiterhin muss dem Arbeitgeber mit der Fristsetzung angekündigt werden, dass der Arbeitnehmer für den Fall der Nichtabhilfe des Mobbings seine Arbeitsleistung zurückhält.
Die Zurückbehaltung der Arbeitsleistung ist allerdings für den Arbeitnehmer mit hohen Risiken verbunden. Wenn er zu Unrecht annimmt, er könne die Arbeitsleistung wegen Mobbings zurückhalten, kann dies zum Verlust des Vergütungsanspruches, zur Abmahnung oder gar zur verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen unberechtigter Arbeitsverweigerung führen. Bei Bestand der Kündigung droht darüber hinaus noch eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeldbezug. Diesen Gefahren kann man als Arbeitnehmer jedoch entgehen.
Das Bundesarbeitsgericht hat dem gemobbten Arbeitnehmer ein Feststellungsinteresse an einer Klage auf Feststellung, dass ihm ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung zusteht, eingeräumt. Daher sollte im Vorfeld der Zurückbehaltung der eigenen Arbeitskraft immer die Klage auf Feststellung des Bestehens des Zurückbehaltungsrechtes für den Arbeitnehmer stehen. Hiervon sollte nur nach vorheriger Beratung mit einem Anwalt Gebrauch gemacht werden.
Rechtsanwalt Dr. jur. Frank Sievert, Hamburg, Mai 2010
Sonntag, 2. Mai 2010
Immer auf die Kleinen
- Kündigungsschutz im Kleinbetrieb -
Häufig sind gerade Mitarbeiter von Betrieben mit nur einer geringen Mitarbeiteranzahl von Kündigungen betroffen. Diese Betriebe, wie beispielsweise Zulieferer, haben regelmäßig nur eine geringe Anzahl von Mitarbeitern im Vergleich zu ihren sehr großen Kunden. Geht es den großen Kunden finanziell schlecht, werden häufig zuerst die Geschäftsbeziehungen zu den kleinen Betrieben beendet. Diese sind dann gehalten, den Geschäftsbetrieb einzustellen oder Mitarbeiter zu entlassen. Die entlassenen Mitarbeiter werden dann mit der Tatsache konfrontiert, dass für sie nur ein geringerer Kündigungsschutz als für Mitarbeiter in großen Betrieben gilt. Dies vor folgendem Hintergrund.
Nach dem Kündigungsschutzgesetz, das vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen schützt, sind von seiner Schutzwirkung ausgenommen sogenannte Kleinbetriebe, die in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigen. Hierdurch sollen Neueinstellungen gefördert werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in Kleinbetrieben Neueinstellungen unterblieben, wenn jeder Mitarbeiter des Kleinbetriebs Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genösse und der Arbeitgeber fürchte, im Kündigungsfalle hohe Abfindungen zahlen zu müssen. Eine rechtspolitische Entscheidung mit großer praktischer
Bedeutung.
Rund ein Viertel aller Arbeiter und Angestellten sind Mitarbeiter von derartigen Kleinbetrieben. Die Frage, inwieweit die vom Geltungsbereich des KSchG ausgeschlossenen Arbeitnehmer dennoch in gewissem Maße vor Kündigungen geschützt sind, führte trotzdem lange Zeit ein Schattendasein. Es bestand weitgehend Einigkeit, dass dieser Personenkreis mit Ausnahme besonderer Kündigungsverbote, etwa für Schwangere oder Betriebsratsmitglieder, weitgehend schutzlos gestellt sei. Erst die neuere Rechtsprechung hat gezeigt, dass dies nicht
der Fall ist und der häufig erteilte Rechtsrat, außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes sei für den gekündigten Arbeitnehmer eines Kleinbetriebes nichts zu machen, falsch ist.
So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem allgemeinen Kündigungsschutz dann nicht gerechtfertigt ist, wenn größere Unternehmen sich in Organisationen gliedern, die jeweils für sich betrachtet der Kleinbetriebsklausel des Kündigungsschutzgesetzes unterfallen. Es ist zu verhindern, dass sich Teile größerer Unternehmen auf den Kleinbetriebsschutz berufen können, für die der Schutzgedanke des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht zutrifft. Nach dem Bundesverfassungsgericht liegen in diesem Fall keine anerkannten sachlichen Gründe zur Differenzierung vor, die eine an Art. 3 Abs. 1 GG gemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer von Kleinbetrieben rechtfertigen. Deshalb ist der Begriff des Betriebes auf Organisationen zu beschränken, für deren Schutz die Kleinbetriebsklausel geschaffen wurde.
So ist kündigungsschutzrechtlich kein Kleinbetrieb trotz einer Mitarbeiterzahl von 10 oder weniger Vollzeitbeschäftigten gegeben, wenn der Betrieb nicht dem „Mittelstand" zuzuordnen ist, der Unternehmer nicht selbst als Betriebsleiter vor Ort mitarbeitet, keine besonders enge persönliche Beziehungen zwischen dem Inhaber und seinen Mitarbeitern bestehen, der Kleinbetrieb über eine hinreichende Finanzausstattung verfügt und er auch keine eingeschränkte Verwaltung unterhält. Es wird also maßgebend darauf abgestellt, ob aufgrund der bestehenden Strukturen die Leistung des einzelnen oder interne Missstimmungen das Geschäftsergebnis nachhaltig beeinträchtigen können.
Die Kündigung eines Arbeitnehmers im Kleinbetrieb kann zudem nach § 242 BGB, wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, unwirksam sein. Dies ist der Fall, wenn die Kündigung aus anderen als den in § 1 KSchG aufgeführten Gründen, gegen Treu und Glauben verstößt. Auch in einem Kleinbetrieb muss der Arbeitgeber ein verfassungsrechtlich gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme wahren und darf ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt lassen.
Hierbei ist insbesondere an eine grob fehlerhafte Sozialauswahl zwischen mehreren Arbeitnehmern ohne entgegenstehende betriebliche Interessen im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen zu denken, sowie an eine personenbedingte Kündigung eines kurzzeitig an einer Allerweltskrankheit wie einer Grippe erkrankten Arbeitnehmers. Weiterhin erfasst werden die Fälle einer völlig außer Verhältnis zum marginalen Fehlverhalten des Arbeitnehmers ausgesprochenen verhaltensbedingten Kündigung. Am häufigsten judiziert wurde der Fall einer grob fehlerhaften Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen im Kleinbetrieb.
Der Fall also, wenn gerade der schutzbedürftigere weil ältere und länger betriebszugehörige Arbeitnehmer betriebsbedingt gekündigt und der weniger schutzwürdige nicht gekündigt wird. Hat der Arbeitgeber keine besonderen Gründe, gerade diesen Arbeitnehmer betriebsbedingt zu entlassen oder die Entlassung eines anderen zu vermeiden, spricht eine grobe Missachtung der Sozialauswahlkriterien für eine Treuwidrigkeit der Kündigung Diese fehlerhafte Sozialauswahl macht die Kündigung rechtsmissbräuchlich. Aber auch krankheitsbedingte Kündigungen im Kleinbetrieb können nach neuester Rechtsprechung rechtsunwirksam sein.
So ist bei einer krankheitsbedingten Kündigung im Kleinbetrieb die Treuwidrigkeit dann vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg angenommen worden, wenn sich die krankheitsbedingten Gründe angesichts der Dauer der Betriebszugehörigkeit als „nicht einleuchtend" erweisen. Bei kurzzeitigen Erkrankungen, die kein Indiz für zukünftige Fehlzeiten liefern, ist ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung nicht zu erkennen. Aus dem Sozialstaatsprinzip und den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes ist zu entnehmen, dass diese Kündigungen zudem wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sind. Deshalb ist eine Kündigung mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe in der Vergangenheit krankheitsbedingt gefehlt, im Kleinbetrieb unwirksam, wenn und soweit die Krankheit keine Auswirkungen in die Gegenwart und Zukunft hat.
Schließlich sind auch häufig verhaltensbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern in Kleinbetreiben nach Teilen der Instanzrechtsprechung unwirksam, weil sie gegen den Verhältnismäßigkeitgrundsatz verstoßen, z. B. wenn der verhaltensbedingt gekündigte Arbeitnehmer vor der Kündigung nicht abgemahnt oder zu den ihn entgegengehaltenen Vorwürfen nicht angehört wurde. Soweit es um ein steuerbares Fehlverhalten des Arbeitnehmers geht, ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vor Ausspruch
einer Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich. Das Erfordernis der Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose, der Mitarbeiter werde auch in Zukunft sich vertragswidrig verhalten. Ohne vorherige Abmahnung kann aufgrund einer vom Arbeitnehmer begangenen Pflichtverletzung regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Zugleich ist die Abmahnung auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Eine Kündigung ist hiernach nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen.
Rechtsanwalt Dr. jur. Frank Sievert
Hamburg, den 04.03.2010